Buddhisten in Hannover: Geschichte und Gegenwart

    Bootsflüchtlinge aus Vietnam haben die buddhistische Praxis in Hannover ebenso geprägt wie Einwandererinnen aus Thailand und Deutsche, die sich für die Lehre Buddhas entschieden haben. In Hannover entstand die erste Pagode Deutschlands. Sie ist bis heute eines der wichtigsten Zentren des vietnamesischen Buddhismus in Europa.

    Buddhist sein heißt, im Hier und Jetzt zu leben. Trauer um das Vergangene hat keinen Sinn in dieser Philosophie. Den Menschen, die als Flüchtlinge aus Südvietnam nach Hannover gekommen sind, kann das helfen, ihre Lebensgeschichten anzunehmen, wie sie sind, meint Ngoc-Diep Ngo, der Leiter des Vietnamesischen Buddhistischen Sozio-Kulturzentrums (VIBUS). Monatelang hatte der Flüchtlingsfrachter „Hai Hong“ vor der Küste Malaysias vor Anker gelegen, bis sich ein Land bereit erklärte, die „Boat People“ aufzunehmen. Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht entschied, 1.000 Menschen eine neue Heimat zu geben. Sein Name ziert zum Dank bis heute die große Glocke der Pagode Vien Giac.

    Turm der Pagode Vien Giac. Foto: Roger HeimannDas Datum wird die vietnamesische Gemeinde nicht vergessen: Am 3. Dezember 1978 landeten die ersten Flüchtlinge in Hannover. Sie waren vor der Wiedervereinigung der beiden vietnamesischen Staaten unter der Herrschaft der siegreichen nordvietnamesischen Kommunisten geflohen. In ihrer Heimat gehörten viele der Flüchtlinge zur Mittel- und Oberschicht. In Niedersachsen fingen sie von Null an. In der Politik war es zunächst umstritten, ob die Landeshauptstadt es verkraften könne, Flüchtlinge aufzunehmen. Langjährige Beobachtungen hätten gezeigt, argumentierte der damalige Stadtdirektor Hans Nehring 1979, dass in der Anonymität der Großstadt eine Integration nicht zu erwarten sei. Die christlichen Kirchen setzten sich ebenso wie die CDU-Ratsfraktion für die Flüchtlinge und für ein vielfältigeres Hannover ein.

    Die Boat People waren nicht die ersten vietnamesischen Buddhisten in der Landeshauptstadt: Es gab hier bereits die „Vereinigung der vietnamesisch-buddhistischen Studenten und Vietnamesen in Deutschland“ und eine Buddha-Andachtsstätte. Viele junge Leute aus Südvietnam, die im Zuge von Entwicklungshilfe-Programmen zum Studium nach Deutschland gekommen waren, wollten nach der Machtübernahme der Kommunisten nicht in ihre Heimat zurück. Sie beantragen Asyl in Deutschland und stellen sich darauf ein, den Rest ihres Lebens im Exil zu verbringen.

    Die erste Pagode Deutschlands: Vien Giac

     „Thich Nhu Dien kann als eigentliche Schlüsselfigur in der Geschichte des vietnamesischen Buddhismus in Deutschland betrachtet werden“, urteilt sein Nachfolger als Abt der Pagode, Thich Hanh Gioi. Der Hochehrwürdige Thich Nhu Dien war 1978 als Besucher nach Deutschland gekommen. Seine Landsleute baten ihn zu bleiben. Er willigte ein und machte sich die spirituelle Betreuung für die Vietnamesen im deutschen Exil zur Lebensaufgabe. Als die ersten Flüchtlinge kamen, sprang er im Erstaufnahmelager Friedland als Dolmetscher ein und siedelte von Kiel nach Hannover um. Die Buddha-Andachtsstätte in einer Wohnung wurde rasch zu klein. 1981 entstand die erste Pagode Deutschlands in einer ehemaligen Fabrikhalle in der Eichelkampstraße, in der Nachbarschaft der heutigen Anlage. Im vietnamesischen Buddhismus versteht man unter einer Pagode eine Klosteranlage, in der Mönche oder Nonnen leben, mit einer Andachtshalle und einem siebenstöckigen Turm. Vien Giac ist bis heute eines der größten religiösen und kulturellen Zentren für Buddhisten in Deutschland und darüber hinaus. Die buddhistischen Feiertage locken regelmäßig tausende Gläubige nach Hannover.

    Löwen-Skulptur am Portal der Pagode Vien Giac. Foto: HdR/Beelte-Altwig

    Abt Thich Nhu Dien führte eine Organisationsstruktur aus Vietnam, die im weltweiten Buddhismus einzigartig ist, auch in Deutschland ein:  In der „Congregation der Vereinigten Vietnamesischen Buddhistischen Kirche“ (CVVBK) haben sich die Lehrer und Anhänger aller buddhistischen Schulen zusammengeschlossen. 1981 wurde die deutsche Abteilung der CVVBK gegründet. Ihr Zentrum ist in Hannover.

    Die Boat People stießen auf die Mauer-People.

    Durch den Fall der Mauer wuchs die Gemeinde weiter: In der DDR arbeiteten rund 53.000 Vertragsarbeiter aus dem „sozialistischen Bruderland“ Vietnam, die meisten davon aus dem Norden des Landes. Nach der Wende waren sie plötzlich ihrer Existenzgrundlage beraubt. Ihre Arbeitsverträge und Wohnheimplätze wurden gekündigt, doch die Regierung ihres Heimatlandes wollte sie nicht wieder aufnehmen. Viele wanderten weiter nach Westdeutschland und beantragten Asyl. „Die Boat People stießen auf die Mauer-People“, beschreibt es Ngoc-Diep Ngo: Flüchtlinge aus dem Süden auf Arbeitsmigranten aus dem Norden Vietnams. „Der Gründerabt“,  berichtet er, „würdigt immer die Leistung von beiden Gruppen für den Aufbau der Pagode.“

    Vor seiner Eröffnung 1991 muss der Neubau einem Camp geglichen haben: Freiwillige aus ganz Deutschland quartierten sich im Rohbau ein und trugen mit ihren Kräften zum Gelingen des Baus bei. Jede Familie in der Bundesrepublik, die sich der Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlte, stellte ein zinsloses Darlehen und sicherte einen monatlichen Beitrag zu. Dafür gehört den Spendern ideell jeweils ein Quadratmeter des Geländes an der Karlsruher Straße.

    Die Pagode Vien Giac („Vollkommene Erleuchtung“) ist ein Kloster der in China entstandenen „Reines-Land-Schule“. Die Gläubigen streben nach ihrem Tod nicht an, unmittelbar ins Nirwana einzugehen, sondern eine Fort-Geburt im „Reinen Land“ (Sukhavati) des Buddha Amitabha. Vier Mönche leben ständig in Hannover, dazu kommen immer wieder Geistliche zu Studienaufenthalten. 2008 wurde Thich Hanh Gioi als Abt der Pagode eingeführt. Neben seiner Mönchsausbildung hat er Religionswissenschaft an der Universität Hannover studiert. Weil es in der Diaspora nicht leicht ist, einen Ort zu finden, an dem buddhistische Nonnen ihren Lebensabend verbringen können, gewährt das Kloster immer wieder auch Nonnen Gastfreundschaft. „Hier können sie sich auf ihre letzte Reise vorbereiten“, erklärt Ngoc-Diep Ngo.

    Eine „atheistische Religion“: Buddhisten aus Deutschland

    Unter Deutschen war es zunächst nicht die Praxis, sondern die Philosophie des Buddhismus, die Interesse weckte. Der Hannoveraner Gottfried Wilhelm Leibniz prägte für lange Zeit das Urteil über den Buddhismus in der europäischen Philosophie. In den Essays zur Theodizee (1710) brandmarkte er dessen „unhaltbare Gottlosigkeit“. Dieses Urteil beruhte allerdings auf einem Missverständnis: Leibniz nahm an, der Buddhismus verstehe das „Nichts“ als Ursprung aller Dinge. Eine solche Frage nach dem Schöpfer oder Ursprungsprinzip zu stellen, liegt Buddhisten jedoch fern.

    Zen-Meisterin Dagmar Doko Waskönig bei der Meditation. Foto: Patrice KunteViele Europäer faszinierte, dass man der buddhistischen Philosophie anhängen kann, ohne an ein höheres Wesen zu glauben. Der Religionswissenschaftler Helmuth von Glasenapp prägte dafür den Begriff einer „atheistischen Religion“. Nach dem Zweiten Weltkrieg traf sich in Hannover ein Studienkreis zu Vorträgen und Lesungen, berichtet Rother Baumert, Vorsitzender des Buddhistischen Bundes Hannover e.V. Erst später kam der Boom buddhistischer Praktiken wie der verschiedenen Meditationsformen, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Hannoveraner zum Buddhismus führte. 1963 gründete sich der „Buddhistische Arbeitskreis Hannover“, aus dem 1979 der Verein „Buddhistischer Bund Hannover e.V.“ hervorging. Der Verein ist offen für alle buddhistischen Schulen mit Schwerpunkt im Theravada, der ursprünglichen Lehre des Buddha. „Nach der Lehre Buddhas geht es weniger um einen Status, also weniger darum, sich „Buddhist“ zu nennen, sondern um den praktisch gelebten Weg: Wie man die Lehre im Alltag – auch wortlos – umsetzt“, erklärt Rother Baumert. Dreimal jährlich gibt er die Zeitschrift „Der Mittlere Weg - Majjhima patipada“ heraus. Dadurch ist er vernetzt mit rund 500 Abonnenten weit über Hannover hinaus. Der Buddhistische Bund Hannover engagierte sich von Anfang an im interreligiösen Dialog der Landeshauptstadt. Rother Baumert vertritt die Buddhisten im Rat der Religionen seit seiner Gründung 2009.

    Zen-Meisterin Dagmar Doko Waskönig. Foto: Patrice Kunte

    Wo Buddhas Lehre weitergegeben, meditiert und in Ehrfurcht des Religionsstifters gedacht wird, kann man von einem buddhistischen Tempel sprechen. Deswegen nannten die Mitglieder des Buddhistischen Bundes das Gartenhaus ihres Vorsitzenden Karl P.W. Stort, in dem eine Bibliothek und ein Schrein mit einer Buddha-Statue untergebracht waren, ihren Tempel. Nach dem Tod Storts musste der Buddhistische Bund eine neue Bleibe finden. Eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Oststadt ist bis heute Tempel, Geschäftsstelle und Bildungsort des Buddhistischen Bundes.

    Gleichzeitig mit dem Verein war auch Zen-Meisterin Dagmar Doko Waskönig auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. Sie wurde 1986 zur buddhistischen Nonne ordiniert und folgt der Tradition des japanischen Soto-Zen. „Damals gründeten sich überall Gruppen. Die Menschen waren in den 1980er Jahren nicht so individualistisch wie heute“, erinnert sich Waskönig. Durch eine Zeitungsannonce, auf die sie antwortete, kam sie in Kontakt mit anderen Zen-Übenden. Gemeinsam gründeten sie 1982 die erste Zen-Gruppe in Hannover, das spätere Zen Dojo Shobogendo. Seit 1988 teilten sie sich mit dem Buddhistischen Bund die Räume. 2016 zog das Zen Dojo Shobogendo in ein eigenes Zentrum an der Vahrenwalder Straße.

    Ein Stück Tibet mitten in Hannover: Samten Darye Ling

    In der Odeonstraße nahe dem Hauptbahnhof kann man ein kleines Stück Tibet erleben: Der Verein Samten Dargye Ling lädt die Öffentlichkeit regelmäßig ein, bei Buttertee und Teigtaschen einen Eindruck von der Kultur und Tradition des Landes zu bekommen. Bei den Tibetischen Kulturtagen sind jedes Jahr Mönche aus einem indischen Kloster zu Gast. In tagelanger Filigranarbeit streuen sie ein Mandala aus Sand und zerstören es danach in einer Zeremonie wieder. Myriam Abdel-Rahman Sherif hat den VereinSamten Dargye Ling e.V.“ 2006 mit Gleichgesinnten gegründet. Zuerst, erzählt sie, war ihre Faszination für das Land Tibet da. Dann machte sie sich auf die Suche nach fundiertem Unterricht in buddhistischer Philosophie. Die Kinderkrankenschwester und Erzieherin stellte fest, dass sie den Ort erst schaffen musste, den sie suchte.

    Buddha-Skulptur im Tibet-Zentrum. Foto: Patrice KunteIn einer Hausgemeinschaft wohnen der Mönch Geshe Palden Öser, zwei Nonnen und zehn Laien in jeweils eigenen Haushalten. „Uns ist wichtig, dass die Mönche in unserem Verein sehr gut ausgebildet sind“, sagt Myriam Abdel-Rahman Sherif. „Palden Öser besitzt den Titel Geshe-Larampa, den höchsten akademischen Grad, den eine Klosteruniversität vergeben kann.“ Im ersten Stock des Hauses findet man die Lotus Kinderkrippe und darüber den Tempel samt einem kleinen Laden mit tibetischen Kostbarkeiten und Kunsthandwerk aus eigener Herstellung. Mit dem Erlös unterstützen die Aktiven ein tibetisches Kloster, das sie auch regelmäßig besuchen. Mit seinem Angebot hat das Tibet-Zentrum ganz unterschiedliche Zielgruppen im Blick: Es gibt ein spezielles Meditationsangebot für Senioren und ein jährliches Sommercamp für Kinder. Tibetan-Heart Yoga, Entspannungsmeditation oder der tibetische Sprachkurs ziehen Interessierte auch ganz unabhängig von der buddhistischen Praxis an.

    Erleuchtung suchen mitten im Alltag: Sozialer Buddhismus

    Unmittelbar an Menschen in der westlichen Welt wendet sich die Lehre des Sozialen Buddhismus. Sie wurde von Supreme Matriarch Ji Kwang Dae Poep Sa Nim begründet, der ersten Frau im koreanischen Buddhismus mit Anerkennung als erleuchtete Dharmameisterin. Ji Kwang Dae Poep Sa Nim reiste und lehrte über lange Jahre in vielen europäischen Ländern. Deshalb gibt es die meisten Meditationszentren – insgesamt 37 - in Europa. Ihren Hauptsitz hat die „Yun Hwa Sangha of World Social Buddhism“ im Lotus Buddhist Monastery auf Hawai’i, USA. Yun Hwa ist koreanisch und bedeutet Lotusblume.

     Die Gemeinschaft des Hannover Yun Hwa-Meditationszentrum. Foto: Hannover Yun Hwa-MeditationszentrumSeit 2001 wird der Soziale Buddhismus auch im „Hannover Yun Hwa-Meditationszentrum“ praktiziert. Martina Bolte steht dem Zentrum als Äbtissin vor. „Der Soziale Buddhismus vermittelt die ursprüngliche Lehre Buddhas angepasst an die heutige Zeit. Er beinhaltet Elemente verschiedener Formen des Buddhismus wie Theravada, Mahayana und Zen und geht zugleich über traditionelle Richtungen hinaus“, erklärt sie. „Der Soziale Buddhismus sieht alle Religionen, Glaubensrichtungen und Menschen als gleichwertig an.“ Rund dreißig deutschstämmige Buddhistinnen und Buddhisten meditieren hier und studieren die Lehre Buddhas. Sie streben danach, mitten in der Gesellschaft und im täglichen Leben Weisheit und Erleuchtung zu finden - und damit anderen zu helfen. „Sozialer Buddhismus betont die Wichtigkeit des Miteinanders und gibt Hilfestellungen zum Umgang mit sich selbst und anderen Menschen“, erklärt Martina Bolte.

    Im Hannover Yun Hwa-Meditationszentrum wird daher neben der formellen Praxis auch viel Wert auf gemeinsame Essen, Feiern und Veranstaltungen gelegt. „Die Mitglieder zeichnet ein enger Zusammenhalt aus und man unterstützt sich auch im Alltag“, beschreibt die Äbtissin. „Die Beziehungen zu anderen sind für uns das Feld, auf dem wir unsere buddhistische Praxis üben. Man kann die höchsten Ebenen der Erlangung mitten in der sozialen Welt dadurch erreichen, dass man wahre und klare Beziehungen pflegt“, ist sie überzeugt.

    Vom Ausflugslokal zum thailändischen Kloster: Wat Dhammavihara

    Es war vor allem die Liebe zu einem oder einer Deutschen, die mehr als 3.700 Thailänderinnen und 450 Thailänder nach Niedersachsen führte. Gläubige Buddhistinnen und Buddhisten unter ihnen gründeten 2003 den Wat Dhammavihara Buddhisten-Verein Hannover e.V. Sie luden thailändische Mönche ein, die spirituelle Betreuung in Hannover zu übernehmen. Der thailändische Buddhismus gehört dem Theravada, der ältesten buddhistischen Richtung an. Nachdem der erste Tempel („Wat“) in Misburg rasch zu klein geworden war, erwarb der Verein 2007 vom Land Niedersachsen den Ahlemer Turm. Conrad von Meding nennt das Fachwerkhaus in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung das „heimliche Wahrzeichen des Stadtteils“: „Es war 1897 als Ausflugslokal mit Kaffeegarten errichtet worden, diente später als Mädchenwohnheim, Grundschule und Auffanglager für Flüchtlinge und seit 1963 der Autobahnpolizei, die 2004 auszog.“

    Phramaha Sitthiporn, stellvertretender Abt des Wat Dhammavihara, leitet eine Meditation an. Foto: HdR/Beelte-Altwig„Manchmal werde ich gefragt, was die Mönche den ganzen Tag machen“, sagt Michael Hagenbeck, der oft Besucher durch das Kloster führt. Schmunzelnd zeigt er in die Luft, die erfüllt ist vom Dröhnen der Schleifmaschine: „Hören Sie selbst.“ Der stellvertretende Abt Phramaha Sitthiporn schleift mit anderen Mönchen das Treppengeländer ab. Sie sanieren das Gebäude Raum für Raum mit Unterstützung zahlreicher Spender. Da das Mutterkloster ein „königliches“ Kloster ist, erhält auch das Tochterkloster in Hannover Unterstützung aus Thailand. Der Wat Dhammavihara ist die einzige thailändische Tempelanlage in Niedersachsen und zu den Festtagen das Ziel von bis zu 1.500 Gläubigen. Zwei Mönche leben ständig hier, andere sind jeweils für kurze Zeit aus Thailand zu Gast.

    Unter den Mönchen gibt es den Scherz, dass sie eigens aus dem Mutterkloster hergeschickt werden, um einen Trockenbau-Lehrgang im Ahlemer Turm zu absolvieren und ihre Kenntnisse dann zu Hause einzubringen. Im lokalen Baumarkt jedenfalls sind die leuchtend orangefarbenen Gewänder der Mönche ein vertrauter Anblick. Nonnen, die nach der Theravada-Tradition nicht ordiniert sind, führen den Haushalt. Die Gemeinschaft wird immer wieder verstärkt durch junge Männer, die nach thailändischer Tradition einige Wochen zu Ehren ihrer Familie als Mönch auf Zeit leben. 2013 richtete die Gemeinschaft eine internationale Konferenz mit 93 buddhistischen Mönchen aus aller Welt aus. Das war schon ein Vorgeschmack auf die künftigen Aktivitäten: Das Kloster soll einmal ein Kultur- und Begegnungszentrum werden. Das thailändische Ministerium für „Social Development and Human Security“ schickt seit einigen Jahren Lehrerinnen für Thai-Massage ins Kloster. Sie zeigen den Auswandererinnen, die oft keine Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt mitbringen, einen Weg, mit einem eigenen Massagestudio eine selbständige Existenz aufzubauen.

    Egal, womit du fährst – Hauptsache, die Richtung stimmt.

    Die Spendenbüchsen versinnbildlichen verschiedene Haltungen. Foto: HdR/Beelte-Altwig„Die verschiedenen buddhistischen Gemeinden haben nur sporadisch Kontakt untereinander. Die Sprachbarriere steht zwischen uns“, sagt Ngoc-Diep Ngo vom Vietnamesischen Buddhistischen Sozio-Kulturzentrum. „Aber es ist egal, ob du mit dem Auto oder mit dem Fahrrad fährst, ob du Benzin oder Diesel tankst“, meint er. „Hauptsache, die Richtung stimmt. Und die Richtung gibt die Lehre Buddhas vor.“ In seiner Magisterarbeit von 1998 berichtet Abt Thich Hanh Gioi über einen bundesweiten Kongress, zu dem die Deutsche Buddhistische Union (DBU) 1985 eingeladen hatte. Das Ziel war, die Kooperation zwischen deutschstämmigen und immigrierten Buddhisten zu verbessern und gemeinsam den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechtes“ zu beantragen. Allerdings erwiesen sich die Unterschiede als zu groß - man unterließ den Antrag. Einen neuen Vorstoß der DBU gab es erst 2014 wieder in Bayern.

    Offen für alle Schulen: Die buddhistische Gemeinschaft Chöling

    Umso mehr lobt Thich Hanh Gioi vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit vor Ort. Bereits seit 1992, also fast seit Bestehen der Pagode, trifft sich die buddhistische Gemeinschaft „Chöling“ hier in eigenen Räumen. „Unser Verein ist aus einer Tibet-Initiative hervorgegangen, die sich in den 1980er Jahren gegen die Unterdrückung der tibetischen Aufstände durch die chinesische Regierung engagiert hat“, berichtet Manfred Schwabedal von Chöling. Zuerst traf sich die Initiative in privaten Wohnungen. Doch durch den Kontakt zum Gründerabt der Pagode ergab sich die einzigartige Möglichkeit, in einem authentischen Ambiente Meditation üben zu können. Sein Vorgänger, kommentiert Abt Thich Hanh Gioi, habe damit ein „Signal für die internationale Öffnung und Begegnung“ gesetzt. Bei Chöling sind vor allem deutschstämmige Buddhisten an den Standorten Hannover und Braunschweig aktiv. Seit 1994 sind sie als Verein eingetragen. Ihr spiritueller Ratgeber ist S.E. Loden Sherab Dagyab Kyabgön Rinpoche, der spirituelle Leiter des Tibethauses in Frankfurt.

    Der Dalai Lama zu Gast in der Pagode Vien Giac. Vorne links der Gründerabt Thich Nhu Dien. Foto: Pagode Vien Giac„Zuerst nannten wir uns Tibetisch-Buddhistische Gemeinschaft“, sagt Manfred Schwabedal. „Aber in den 2000er Jahren haben wir uns für alle buddhistischen Richtungen geöffnet.“ Der Buddhismus, erklärt er, ist überall auf der Welt durch einheimische Traditionen geprägt. Erst in der Diaspora in der westlichen Welt besteht die Chance, dass sich die verschiedenen Traditionen begegnen und einander bereichern. Anhängerinnen des Theravada-Buddhismus, die die intellektuelle Herausforderung dieser Richtung suchen, meditieren bei Chöling neben Buddhisten, die sich von den tibetischen Zeremonien mit ihren vielfältigen Sinneseindrücken und schamanischen Elementen faszinieren lassen. 1995 und 2013 besuchte der Dalai Lama die Pagode, traf Vertreterinnen und Vertreter aller buddhistischen Gruppen in Hannover und segnete die Gebetsräume von Chöling.

    ZUM WEITERLESEN:

    Der Text stammt aus dem Buch "Religionen in Hannover", hg.v. Rat der Religionen, Hannover 2016.
    Darin lesen Sie noch mehr über buddhistische Kita-Erziehung, über die Erwartungen der Buddhisten an die Fort-Geburten nach dem Tod und den Weg von Dagmar Doko Waskönig als buddhistische Nonne und Zen-Meisterin.

    Loc Ho (später Abt Thich Hanh Gioi), Vietnamesischer Buddhismus in Deutschland. Darstellung der Geschichte und Institutionalisierung. Hannover 1999

    Achtsamkeit als Weg. Der Buddhismus verändert die deutsche Gesellschaft. Schwerpunktthema in der Zeitschrift zeitzeichen. September 2010

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